In verschwörerischem Tonfall berichtete Jûrik dem vier Jahre jüngeren Cârat, dass sie heute auf ein großes Abenteuer aus waren! ... Und zwar auf ein ganz spezielles – eines, von dem solange es Zwerge gab, ein jedes Zwergenkind heimlich träumte! ... Cârats blaue Augen begannen zu leuchten ... Er begann zu ahnen, um was es hier ging, ... konnte es aber noch nicht fassen ...
Jûrik berichtete weiter, dass das Füchslein – also sein kleiner Bruder Nôrik– und dessen Freund Kwâts, gestern Nachmittag eine phantastische Entdeckung gemacht hatten:
In einer kleinen Seitenschlucht – nicht weit von hier – war durch die starken Regenfälle der letzten Tage ein kleiner Erdrutsch niedergegangen. Als Kwâts und Nôrik dort spielten, hatten sie überrascht festgestellt, dass der Erdrutsch einen großen Felsen zur Seite geschoben hatte. Dahinter konnten sie einen bislang verborgenen Höhleneingang erkennen!
An dieser Stelle unterbrach Nôrik seinen großen Bruder und setzte selbst voller Stolz den Bericht über ihre Entdeckung fort: Ja, den Eingang zu einem verborgenen Stollen hatten sie dort entdeckt! Ganz vorsichtig seien Kwâts und er hinein gekrochen. Natürlich habe sich Kwâts dabei heftig den Kopf gestoßen, aber so kannte man ihn ja ... immer für ein Unglück gut! ... Drinnen sei alles feucht und finster gewesen. Doch als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten – was bei Zwergen bekanntlich sehr rasch geht – habe er in der Ferne ein schwaches Leuchten bemerkt ... Kwâts und er seien weiter darauf zugestolpert, und hätten dabei festgestellt, dass das Leuchten an einer bestimmten Stelle scheinbar aus dem Boden heraus kam! Als sie dann endlich die leuchtende Stelle im Boden erreicht hatten, waren sie zunächst mächtig enttäuscht gewesen ...
Denn – eher tastend als sehend – hätten sie dort auf dem Boden liegend eine schwere Holzplanke bemerkt, durch deren schmale Ritzen das Leuchten drang. Darüber schien sich eine metallene Konstruktion zu befinden – eine Art Dreifuß ... Aber leider hatte sich rasch herausgestellt, dass die hölzerne Planke viel zu schwer für Kwâts und ihn war. Sie hatten es noch nicht einmal geschafft, das Ding auch nur eine Handbreit anzuheben, um wenigstens einen kurzen Blick darunter werfen zu können ...
Deshalb – und damit schloss Nôrik für´s Erste seinen Bericht – seien sie beide sich sicher, dass es nur FLIMMERSTEINE sein konnten, die dort leuchteten. Irgend jemand muss sie wohl vor langer Zeit dort unter dem schweren Holzstück versteckt und vergessen haben ...
FLIMMERSTEINE ... das Wort – die Vorstellung allein – reichte aus, einen jungen Zwerg zu elektrisieren – denn jeder wollte einen haben ... einen finden ... SEINEN finden!!
FLIMMERSTEINE ... ... sie stellten, besonders für jugendliche Zwerge, ein ganz besonderes Eigentum, ein Statussymbol dar, weil ihr beneideter Besitzer immer auch gleichzeitig ihr Finder war! Sie galten als Zeichen dafür, dass ein junger Zwerg sein erstes Abenteuer – seine erste große Herausforderung – bestanden hatte. Denn man konnte sie weder geschenkt bekommen, noch kaufen oder tauschen – jeder Zwerg mußte seinen Flimmerstein selbst FINDEN! So war es in der langen Tradition der Zwerge schon immer gewesen! Für gewöhnlich hütete jeder Zwerg seinen, meist in seiner Jugend selbst gefundenen, gelblich leuchtenden Flimmerstein sein Leben lang wie seinen Augapfel. Niemals würde er ihn fortgeben oder verleihen ...
Und deshalb war es nur verständlich, dass Zwergenkindern die Ohren glühten und die Nasen juckten, wenn sie nur von FLIMMERSTEINEN hörten ...
Doch Cârat war trotz alledem noch immer unentschlossen ... Er rang schwer mit sich ... Noch nie hatte er die Schule geschwänzt, obwohl er schon oft mit dem Gedanken gespielt hatte! Bisher war er stets tapfer hin gegangen, auch wenn er sich manchmal hatte überwinden müssen – schließlich wollte er Grâfit und Myrtel keine Schande machen ... Außerdem hatte er noch so seine Zweifel, ob sie zu dritt die schwere Planke, von der Nôrik erzählt hatte, würden heben können – selbst wenn Whômbel irgendwie mit half, würden sie bestimmt nicht stark genug sein ... Cârat blies die Wangen auf und kratzte sich am Hinterkopf ... Schwierig, schwierig ...
Als hätte Jûrik Cârats Gedanken gelesen, legte er ihm die Hand auf die Schulter um ihm Mut zu machen. Man konnte Cârat seine innere Zerrissenheit ja auch wirklich leicht vom Gesicht ablesen. Und dann zeigte sich, dass seine beiden Vettern sich wirklich ernsthafte Gedanken gemacht hatten, bevor sie ihn hier überrumpelten. Sie hatten durchaus nicht vor, einfach so in diese alten Stollen hinein zu spazieren!
Sie hatten einen Plan: Jûrik erklärte Cârat, dass auch ihr Schulkamerad Kwâts jeden Moment eintreffen müsse. Und der habe gestern noch versprochen, heute seinen großen Bruder Trâts mitzubringen. Der war der größte und kräftigste Zwergenjunge der Schule. – Na ja, einer der kräftigsten, aber er war ja auch erst in Jûriks Klasse – unter den aller ältesten Jungen, die nur noch manchmal zur Schule kamen, war natürlich manch einer noch größer als Trâts.
Des weiteren – so erklärte Jûrik – habe er gestern Abend mit Nôrik den Flimmerstein ihrer alten Tante Drûhse `ausgeliehen´ – unheimlich heimlich versteht sich!! ... Bis sie sein Fehlen bemerken würde, wären sie längst zurück! ... Sogar für etwas Licht hatten sie also schon gesorgt ...
Und außerdem, mischte sich Nôrik wieder ein, sei ihm gestern am späten Nachmittag auch noch Glâin über den Weg gelaufen ... Sie sei sofort von der Idee, mit auf ein solches Abenteuer zu gehen, begeistert gewesen. Deshalb hatte sie auch noch versprochen zu versuchen etwas Seil und den einen oder anderen Rucksack aus den Vorräten ihres Vaters zu bekommen ...
Nôrik zwinkerte Cârat zu und meinte, als sie gehört habe, dass er und Whômbel sie sehr wahrscheinlich begleiten würden, hätte Glâin erst recht freudig zugesagt. und ließ ihn auch ganz herzlich grüßen! Sie müsse also ebenfalls demnächst hier eintrudeln ...
Spätestens seit Glâins Name gefallen war, stand für Cârat die Entscheidung, die Freunde bei diesem Abenteuer zu begleiten felsenfest! Wenn sogar Glâin – sein heimlicher Schwarm – die Schule schwänzte um nach Flimmersteinen zu suchen, dann würde er ganz gewiss nicht hinten anstehen und sich drücken. Er würde mitgehen! Ganz bestimmt sogar!! ... Also waren sie – Whômbel mitgerechnet, weil er Cârat natürlich wie immer begleitete – zu siebt. Eine gute Zahl, fand Cârat.
Sie mussten auch wirklich nicht lange warten, bis als Erste die schwarzhaarige Glâin hinter dem Felsen auftauchte. Sie hatte ein dünnes, aber recht langes Seil sowie zwei Rucksäcke und diverse Vorräte aus der Vorratskammer ihres Vaters geschmuggelt und präsentierte sie nun stolz ihren Kameraden. Kurze Zeit später trudelten auch die Brüder Trâts und Kwâts ein ...
Alle Zwergenkinder waren ganz aufgeregt und kribbelig vor lauter Vorfreude! Schließlich begaben sie sich doch zum ersten Mal in ihrem Leben auf die abenteuerliche Suche nach Flimmersteinen. Und nachdem sich alle ausgiebig begrüßt und eine Weile miteinander gewitzelt hatten, brachen sie schließlich gemeinsam in aller Heimlichkeit zu ihrem ersten großen Abenteuer auf ...